Ich schreibe ins Internet, weil es für die Kaninchen besser ist, wenn sie ein anderer züchtet.

„Arbeit lohnt sich nicht mehr. Bürgergeld ist viel zu hoch.“ NICHT.

Screenshot der Titelseite der im Beitrag erwähnten Studie mit dem Titel 'Lohnt sich Arbeit in Deutschland noch?'

Dieser Spruch ist die perfideste und niederträchtigste Art, die Armen gegen die Ärmsten auszuspielen und die Konservativen dies- (?) und jenseits der (fiktiven?) demokratischen Brandmauer haben diese Nummer zur Kunstform erhoben. Sie können das mittlerweile auf raffinierte Art so drehen, dass immer das Bürgergeld UND der Mindestlohn zu hoch sind. Ich bin überzeugt: CxU und AfD sind erst zufrieden, wenn 40 bis 50 Prozent der Bevölkerung verarmt sind.

Ich halte es deshalb für sehr schwierig, Bürgergeld und Mindestlohn direkt miteinander zu vergleichen. Aber erst Mal zu den Fakten. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung hat nachgerechnet und den Unterschied zwischen Bürgergeld und Mindestlohn (aktuell noch 12,82 Euro pro Stunde) und allen Begleitleistungen (z.B. Kinder- oder Wohngeld, Unterhaltsvorschuss) für drei Fallbeispiele ausgerechnet. Die gesamte Studie gibt es hier als pdf. Beim Mindestlohn wurde jeweils Vollbeschäftigung angenommen und Steuerabgaben wurden ebenfalls berechnet. Das sind die Ergebnisse:

Alleinstehender Mann

  • Mindestlohn: 1.572 Euro
  • Bürgergeld: 1.015 Euro
  • Differenz: 557 Euro

Alleinerziehende Frau mit fünfjährigem Kind

  • Mindestlohn: 2.532 Euro
  • Bürgergeld: 1.783 Euro
  • Differenz: 749 Euro

Ehepaar (ein Verdiener), zwei Kindern im Alter von fünf und 14 Jahren

  • Mindestlohn: 3.414 Euro
  • Bürgergeld: 2.754 Euro
  • Differenz: 660 Euro

Also in jedem Fall und jeden Monat mehrere hundert Euro (pro Jahr dann knapp 6.700 bis 9.000 Euro) und das in einem Einkommenssegment, in dem das richtig viel Geld ist.

Passt schon so, denn Arbeit muss sich lohnen. Die vorgelegten Zahlen sind also ein klarer Hinweis darauf, dass wir einen starken Mindestlohn brauchen und ich freue mich sehr, dass dieser Mindestlohn in der nächsten Zeit noch einmal deutlich ansteigt, auch wenn es nicht ganz die eigentlich versprochenen 15 Euro werden. Von der anderen Seite betrachtet: Nein, wir müssen nix an den Sozialausgaben kürzen, damit sich Arbeit „wieder rechnet“. Sie hat sich noch niemals nicht gerechnet.

Die „muss sich lohnen“ Argumentation hinkt aber zumindest an einer Stelle gewaltig. Sie unterstellt nämlich, dass die anderen, die eben nicht arbeiten und Bürgergeld bekommen, das ja eigentlich auch tun könnten.

Ich will da nicht alle Fälle durchdeklinieren, das haben andere schon getan. Bleiben wir einfach bei der hier zitierten Studie. Das Beispiel der alleinerziehenden Frau mit fünfjährigem Kind, die bei Mindestlohn-Vollzeit 750 Euro mehr auf dem Konto hat, ist ja schon einigermaßen weltfremd. Welche alleinerziehende Person mit Kleinkind kann denn tatsächlich Vollzeit arbeiten? Die Frau bräuchte dann ja erstmal einen Betreuungsplatz. Und selbst wenn sie den hat, wo gehen dann die zusätzlichen 750 Euro hin? Am ehesten und vermutlich vollständig in die Vollzeitbetreuung des Kleinen. Sie wird also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestenfalls Teilzeit arbeiten und muss dann am ehesten sogar mit Bürgergeld aufstocken.

Womit wir wieder bei der Grundsicherung / dem Bürgergeld wären. Das soll ja nach konservativer Sicht viel zu hoch sein. Irgendwas mit Hängematte, oder so. Naja. Gemäß der Bürgergeldtabelle stehen einer erwachsenen Person pro Tag gerade mal 6,50 Euro für Essen und Trinken zur Verfügung. Eine Luxusversorgung sieht anders aus.

Diese Luxusversorgung – und damit weiche ich hier NICHT vom Thema ab – gibt es in Deutschland. Sie gilt für die Superreichen, die (nicht nur gefühlt) quasi gar keine Steuern zahlen. Lasst uns über Vermögenssteuern und Erbschaftssteuern reden und NICHT darüber streiten, ob irgendein Lohnabstand bei den Armen zu groß ist.

Tax the rich.

Kommentare

5 Antworten zu „„Arbeit lohnt sich nicht mehr. Bürgergeld ist viel zu hoch.“ NICHT.“

  1. @ossis-blog @SPD_Kaiserstuhl_Tuniberg Wie sieht es mit der Übernahme der Wohnraummiete für Bürgergeldempfänger aus?

    1. @Heribert

      Das ist eingerechnet. Es gibt auch Beispielsrechnungen für unterschiedliche Städte mit unterschiedlichem Mietniveau. Kannst du im Detail in den verlinkten Dokumenten nachlesen.

      @ossis-blog @SPD_Kaiserstuhl_Tuniberg

    2. @Prucker @ossis-blog @SPD_Kaiserstuhl_Tuniberg Ich war mir bei der Erwähnung des Wohngeldes nicht sicher, denn dieses unterscheidet sich von der Mietkostenübernahme doch deutlich. Danke für den erklärenden Hinweis.

  2. @ossis-blog
    Die: „Arbeit lohnt sich nicht mehr. Bürgergeld ist viel zu hoch.“
    Ich: "Cool, dann lass es. Weißt du schon, was du mit all der neu gewonnenen Freizeit anstellen wirst?"

    1. Oswald Prucker

      Für letzteres hätte ich zwar schon Ideen, aber dafür fehlte dann das Kleingeld. Womit wir wieder beim Thema wären 🙂

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