Kein Henne-Ei-Problem beim ÖPNV

In der Diskussion zum 9€-Ticket werden nach meinem Verständnis zwei Fragestellungen durcheinander geworfen, die zwar nicht ganz unabhängig von einander sind, aber trotzdem getrennt betrachtet werden sollten. Es wird dann nämlich recht schnell klar, dass wir bei dieser Fragestellung eigentlich kein Henne-Ei-Problem haben.

Die verkehrspolitische Komponente

Unser Ziel ist es, den individuellen Autoverkehr zu reduzieren und die Menschen zum Umstieg auf die öffentlichen Verkehrsmittel zu bekommen. Da setzt man am besten bei den Pendlern an. Mit einem Billigticket bekommt man diese Personengruppe aber kaum in den Bus oder die Bahn. Das geht nur durch attraktive Verbindungen und bequeme Verkehrsmittel. Das wissen wir aus der Schweiz, wo es das gibt. Die Beobachtungen zum 9€-Ticket bestätigen das: Nur wenige Menschen sind wegen des günstigen Preises umgestiegen und wenn, dann nur dort, wo es schon gut ausgebauten ÖPNV gibt. In den Städten. Interessanter Weise hat selbst das schon zu kürzeren Morgenstaus geführt.

Ebenso wichtig: Das 9€-Ticket kannte keine Verbundgrenzen. Bei der Kleinstaaterei im ÖPNV war das ein echter Fortschritt, denn nicht wenige müssen über Verbundgrenzen pendeln.

Die soziale Komponente

Mobilität heißt Teilhabe. Die ist Menschen in der Grundsicherung bislang nicht gegönnt, denn der Regelsatz für Mobilität ist viel zu gering. An dieser Stelle hat das günstige Ticket tatsächlich vielen Menschen geholfen. Ich habe nicht wenige Geschichten von Alleinerziehenden gehört, die endlich mal wieder einen kleinen Ausflug mit den Kindern machen konnten. Oder von Menschen, die mal wieder die Eltern besuchen konnten. Das ist ein großer Wert und ich verabscheue so manche Äußerung aus der Union, dass das Billigticket ja nur ausgenutzt worden sei. Nein. Ein günstiges Ticket ermöglicht Teilhabe und das ist ein wichtiger gesellschaftlicher Wert.

Fazit

Es wird gerne von einem Henne-Ei-Problem beim ÖPNV oder bei der Verkehrswende gesprochen. Sollte man besser ein günstiges Ticket anbieten oder den ÖPNV ausbauen? Das ist leicht beantwortet: Wir müssen uns politisch überlegen, was wir wollen.

Wenn wir verkehrspolitische Ziele verfolgen, so kommen erreichen wir durch einen konsequenten Ausbau des ÖPNV mehr, als durch ein billiges Ticket.

Wenn wir sozialpolitische Ziele verfolgen, dann braucht es fraglos ein günstiges bis sehr günstiges Angebot. In dieser Hinsicht ist das von der Koalition geplante 49€-Ticket nicht Fisch und nicht Fleisch und schon gar nicht vegan. Außer, man gleicht das anders aus. Zum Beispiel durch ein zusätzliches Sozialticket.

Was wollen wir also? Beides, würde ich sagen. Vor allem, weil die von mir hier diskutierten Komponenten zwar schon so gelten, aber eben nicht völlig scharf voneinander getrennt sind. Abgesehen davon, sind das auch beides sehr ehrenwerte Ziele.