Ich hatte gestern, am 8. Mai, die Möglichkeit, mir die Ansprache von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum 75. Jahrestag des Tages der Befreiung live anzusehen. Es war natürlich ein widersinniges Schauspiel, möchte man sagen, mit so wenigen Leuten bei einem so wichtigen Gedenktag. Aber so ist es halt im Moment und vielleicht hilft uns das ja, jenseits von Spektakel der Bedeutung des Tages näher zu kommen.
Es gab in dieser Rede einen Satz, an dem ich gestolpert bin, der mich stutzen lies, der provokativ wirkt. Ich habe dann aber schnell gemerkt, dass dieser Satz meine Gefühlslage schlicht sehr gut trifft. Besser, als ich mir bis dahin eingestehen wollte:
Man kann dieses Land nur mit gebrochenem Herzen lieben.
Es ist natürlich gefährlich, diesen Satz so allein zu zitieren. Er ist eingebettet in einen Absatz, der schon auch zum Verständnis gebraucht wird:
Rabbi Nachman hat gesagt: „Kein Herz ist so ganz wie ein gebrochenes Herz.“ Die deutsche Geschichte ist eine gebrochene Geschichte – mit der Verantwortung für millionenfachen Mord und millionenfaches Leid. Das bricht uns das Herz bis heute. Deshalb: Man kann dieses Land nur mit gebrochenem Herzen lieben.
Wenn ich durch Freiburg gehe, dann stolpere ich sehr regelmäßig. Ich stolpere über die Stolpersteine auf den Gehsteigen. Kleine, pflastersteingroße Messingplaketten mit den Namen von ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die genau dort gelebt haben und schließlich ins KZ verschleppt und ermordet wurden.
Wenn ich Twitter aufrufe, dann stolpere ich jeden Tag und mehrmals über die Tweets der Gedenkstätte von Auschwitz, @AuschwitzMuseum, in denen Bilder von Menschen gezeigt werden, die in Auschwitz umgebracht wurden. Oft Kleinkinder, die man einfach direkt in Gaskammern warf.
Auf diesen Stolpersteinen und in diesen Tweets bekommen diese Menschen Namen und Gesichter.
Und es bricht mir das Herz.
Genau deshalb hat Frank-Walter Steinmeier recht: Man kann dieses Land nur mit gebrochenem Herzen lieben.
Aber man kann es lieben. Diese Liebe braucht aber bei aller Freude über das, was nach der Jahrtausendschuld erreicht wurde, die Erinnerung an diese Zeit. Auf dass sie sich nicht wiederhole.