Über Agendapolitik und Verrat

Gibt es eigentlich irgendeinen Beitrag auf irgendeiner Webseite dieser Welt, bei dem es um die SPD geht und unter dem nicht irgendwer sich gemüßigt sieht zu schreiben:

Wer hat uns verraten … blablabla

Meist kommen dann ein paar Fetzen zur Agendapolitik, die die „Enteignung der kleinen Leute“ in die Wege geleitet hätte und den Wert der Arbeit der Bedeutungslosigkeit preisgegeben hätte.

Da greift die Erinnerung aber arg kurz. Das ging schon viel früher los. Leni Breymaier, stellvertretende Landesvorsitzende der SPD Baden-Württemberg und Landesbezirksleiterin von ver.di, hat für diese Entwicklung den Untergang des Ostblocks als Startsignal angegeben. Damals siegte der Kapitalismus über die Planwirtschaft und das markiert den Aufstieg des Neoliberalismus.

Infolge der Wiedervereinigung war die Arbeitslosigkeit hoch und mit jeder Krise stieg die sogenannte Sockelarbeitslosigkeit, also die Zahl der Langzeitarbeitslosen. Die Folge war eine Entwertung der Arbeit über niedrige Lohnabschlüsse, ein starker Anstieg der Sozialversicherungssätze und dergleichen mehr.

Bei all ihren Schwächen hat die Agenda 2010 genau diesen Teufelskreis durchbrochen. Seit der Agenda ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs deutlich nach oben gegangen und damit die Sockelarbeitslosigkeit niedriger geworden.

Das ist ein Erfolg und zwar ein wichtiger.

Ich will hier bestimmt nix schön reden, denn man hätte schon damals einen Mindestlohn einführen müssen und beim Thema Zeitarbeit/Werkverträge ist auch einiges schief gelaufen. Kann man aus heutiger Sicht kritisieren, bei der derzeitigen niedrigen Arbeitslosigkeit ist das aber auch einfach und wohlfeil.

Immerhin werden diese Punkte jetzt korrigiert, der Mindestlohn wird allseits gelobt. Ohne SPD in der Regierung wäre der nicht gekommen. Bei den Änderungen zum Thema Zeitarbeit/Werksverträge wären wir auch schon weiter, aber da bockte die CSU und erpresste die Regierung. Seit heute scheint es aber in diesem wichtigen Punkt wieder weiter zu gehen. Hoffentlich tut sich da noch was in dieser Legislaturperiode.

Ein weiterer Punkt auch im Zusammenhang mit der Agenda ist die Rente. Ja, es wird sehr knapp und vielen Menschen droht die Altersarmut. Natürlich ist das auch bis zu einem gewissen Punkt der Entwertung der Arbeit zuzuschreiben. Man darf doch aber nicht außer Acht lassen, dass einerseits die Lebenserwartung immer stärker ansteigt und wir gleichzeitig immer weniger Nachwuchs zeugen. Das erste ist eine erfreuliche Entwicklung für uns alle, das zweite ist leider allein mit Politik nicht zu lösen. Die Rente wird – zusammen mit der Wohnungsnot – das Topthema der nächsten Jahre.

Natürlich kann man diese Themen ohne die SPD angehen. Für die SPD selbst wäre das so gar viel einfacher. Wir könnten in die Opposition und stramm links an all dem rumstänkern, was dann kommt. Zum Beispiel (und zwar sofort) eine lange Liste mit Ausnahmen zum Mindestlohn und vieles dergleichen mehr. Bin gespannt, welche grünroten Erfolge die Grünen jetzt der neuen Koalition opfern (müssen). Ich tippe auf Bildungszeitgesetz.

Wir könnten uns erbost geben und mit gutem Gewissen uns zu den vermeintlichen Rächern der Kleinen aufschwingen. Würde das diesen Menschen helfen? Nein.

Und genau deshalb tut die SPD immer wieder das, was ich schon oft gelesen habe und wofür ich gerade keine gute Quelle finde:

Die Sozialdemokraten stellen immer das Gemeinwohl über das Parteiwohl.

Die Partei kämpft sich in ungesunden Koalitionskombinationen in kleinen Schritten voran. Klar bin ich darüber auch oft genug frustriert, aber sie werden immerhin gegangen. Das ist mir lieber als so manche Sonntagsrede.

Ich habe ja auch gar nichts dagegen, dass dieser Ansatz kritisiert wird. Gerne. Wir sind streitbar und lieben die intensive Debatte. Aber zu schnell kommt da einfach nur dieser unsagbare Verratshammer und der macht mich wütend.