Diese unsägliche Corona-und-alles-andere-Demonstration in Berlin mit 20.000 bis 1,3 Millionen Teilnehmern hat mal wieder die üblichen Reflexe hervorgerufen. Die Leute wären von der Politik abgehängt, man müsse jetzt endlich wieder mehr zuhören und kommunizieren und überhaupt sich wieder mehr um das Volk kümmern.
Fangen wir mit dem letzten an: „Das Volk“. Ein Trademark der Rechten. Gerade letzte Woche musste ich da wieder schmunzeln. Da sind bei mir daheim im Dorf auf zwei Straßen ein paar Parkbuchten aufgemalt worden, um der wilden Parkerei ein bisschen besser Herr zu werden. Ich habe „das Volk“ (nee, nee, nur meine Mitbürger im Dorf) um Ihre Meinung gebeten und es gab jede Menge davon. Viel davon fundiert und nachvollziehbar und dennoch diametral entgegengesetzt. Zielkonflikte par excellence und des einen Plaisier ist des anderen absoluter Mist. „Das Volk“ ist ziemlich unterschiedlicher Meinung zu allem und jedem und das ist ja auch gut so.
Kommen wir zum Zuhören und Erklären. Zuhören wollte zum Beispiel Dunja Hayali, als sie zu dieser Demo ging. Das ist ihr in einigen wenigen Fällen auch gelungen. Im Wesentlichen ist sie aber angepöbelt und niedergeschrien worden. Sie musste auf Anraten ihres Sicherheitsleute (sic!) sogar abbrechen. Wie soll man denn da zuhören oder gar was erklären? Es ist sinnlos, das zu versuchen.
Politik und Wissenschaft haben die Pandemie erklärt und auch die Maßnahmen dazu. Sie haben sich die Finger wund getwittert und den Mund fuselig geredet und das hat auch geholfen. Sehr sogar. Die Menschen haben das verstanden und entsprechend gehandelt und der Lohn dafür ist ein bislang recht milder Verlauf der Pandemie. Ja, es lässt jetzt nach, die Leute werden müde, die Mehrheit ist trotzdem nach wie vor sehr diszipliniert, auch wenn man nicht jede Maßnahme für sinnvoll hält (und damit mitunter auch recht hat).
Im Gegensatz dazu ist die absolute Mehrzahl der Demonstranten von Berlin wohl nicht mehr erreichbar, weil sie sich über die dubiosesten Quellen auf allen Kanälen selbst ins Abseits geschossen haben. Es gibt überhaupt keinen Grund diesen Leuten zuzuhören und zwar auch dann nicht, wenn sie eigentlich so normal aussehen, wie unser aller Nachbarn. David Hugendick hat das in einem Kommentar mit der herrlichen Überschrift „Nicht schon wieder zuhören“ auf zeit.de sehr trefflich beschrieben und seziert dabei auch genüßlich den skurrile Melange der Demoteilnehmer.
Sollte man solche Demonstrationen deshalb verbieten? Nein. Wir sind freie Menschen und sind eben auch frei darin, uns selbst zum Obst zu machen. Wenn wir das tun, dann dürfen wir aber nicht rumwimmern, wenn die große Mehrheit der Menschen nix von uns wissen will.
Schade nur, dass dabei die Stimmen derer untergehen, die tatsächlich leiden oder litten und wirklich allen Grund haben, gegen die Pandemiemaßnahmen zu protestieren.
Kann sich noch jemand an Alfons Blum erinnern? Der Rentner, der seine Frau nicht mehr im Pflegeheim besuchen konnte und deshalb verzweifelt war? Ihm wurde zugehört von der Presse und zwar nicht nur bei jener Demo. Es gab auch Folgeberichte, die einen wieder sehr glücklichen Mann zeigten, als er immerhin eine halbe Stunde ins Heim durfte. Alle, wirklich alle in diesem Land haben diesen Mann verstanden und mit ihm mitgefühlt. Das heißt fast alle. Die Ausnahme waren die Demonstranten damals in Gera. Da wurde er niedergebrüllt und sogar körperlich bedrängt.
Gut möglich, dass auch in Berlin einige wenige Menschen wie Alfons Blum dabei waren. Eine Chance, gehört zu werden, hatten sie nicht. Ich hätte sie gerne gehört.