Joachim Gauck: „Wie soll es aussehen, unser Land?“

Vorgestern und gestern sind zwei wichtige Reden gehalten worden. Eine war über alle Maßen gruselig, die andere war beeindruckend. Wie so oft findet der Grusel mehr Beachtung und die gute Rede fällt hinten runter und bekommt nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdient. Über diese Rede geht es hier.

Ich meine die Abschiedsrede unseres Bundespräsidenten Joachim Gauck.

Es wird mir nicht gelingen, diese Rede im Detail zu analysieren oder auch nur zusammenzufassen, aber mir kam nach der Lektüre sofort der Gedanke, dass man aus dieser Rede ja gleich mehrere Sätze als Zitat herausnehmen möchte.

Genau das will ich hier tun.

Lassen Sie uns also Kraft schöpfen aus der bisherigen Erfahrung, dass vernunftgeleitete Wahrnehmung zu Erkenntnis und zu entschlossenem und weitsichtigem Handeln führen kann

 

In Teilen der Gesellschaft ist ein Anspruchsdenken gewachsen, das den Staat allein als Dienstleister sieht, von dem sie wie Kunden erwarten, dass er ihre Erwartungen und Wünsche möglichst umfassend befriedigt. Doch Demokratie ist kein politisches Versandhaus. Demokratie ist Mitgestaltung am eigenen Schicksal – in der Gemeinde, Stadt, Region, Nation.

 

Ja, die Einbeziehung von Positionen und Themen, die von der politischen Mitte kritisch beäugt werden, verschärft die Debattenlage – aber sie kann hilfreich sein, denn sie erhöht mittelfristig die Akzeptanz demokratischen Regierens. Dies ist es doch, was wir wollen: Eine repräsentative Demokratie soll möglichst viele Bürger repräsentieren.

 

Unser Land kann nicht jedem Bürger einen gefüllten Tresor schenken, aber es ist unerlässlich, den vielen Verschiedenen unterschiedslos die gewünschte Bildung zu ermöglichen. Das ist leider heute noch nicht überall der Fall. Aber wir sind auf dem Weg zu mehr Chancengerechtigkeit schon ein gutes Stück vorangekommen.

 

Pluralität existiert oft nicht mehr in einem Miteinander, sondern einem unverbundenen Neben- oder sogar Gegeneinander. Umso wichtiger ist es, der Zersplitterung entgegenzuwirken, und zwar möglichst in Begegnungen mit Menschen, die anders denken als man selbst.

 

Lassen Sie mich daran erinnern: In Deutschland existiert ein kostbares, keineswegs selbstverständliches Gut – die weit verbreitete Rechtstreue der Bevölkerung. Diese Haltung ist entstanden, weil sich die Menschen auf die ordnende und schützende Hand des Staates verlassen konnten.

 

Wir brauchen eine engere internationale Zusammenarbeit und eine effektivere Gefahrenabwehr im Innern. Was wir allerdings ganz besonders brauchen, ist wirksame Prävention durch politische, kulturelle und religiöse Bildung, so dass Menschen gar nicht erst in den Bann von Extremisten gleich welcher Couleur geraten.

 

Die entscheidende Trennlinie in unserer Demokratie verläuft nicht zwischen Alteingesessenen und Neubürgern, auch nicht zwischen Christen, Muslimen, Juden oder Atheisten. Die entscheidende Trennlinie verläuft zwischen Demokraten und Nicht-Demokraten.

Eine ausführliche Würdigung der Rede gibt es auf faz.net.